Gereon Krebber
Be-greifen

Be-greifen

Gereon Krebber ist Bildhauer. Das bedeutet in diesem Fall einen präzisen Umgang mit der Kategorie des Skulpturalen, den alle seine Arbeiten aufweisen, die Reflexion auf bestimmte Materialien und deren Transformation. Es meint das Abwägen von Volumina und Massen sowie ein Bewusstsein dafür, dass der Kontext der Kunst in das künstlerische Phänomen selbst fällt.

Oftmals arbeitet Krebber mit Gebrauchsgegenständen. Nicht die kulturelle Kodierung von Produkten wie bunten Luftballons, Frischhaltefolie oder Haferflocken wird dabei in seiner Kunst gespiegelt. Was Krebber interessiert, ist eher die formale Logik seiner Materialien, ihre räumliche Qualität oder ihre Oberflächenbeschaffenheit. In der Arbeit Fetcher (2006) beispielsweise, nutzt er die Schwebefähigkeit von Luftballons für eine Skulptur, die an einem Stahlträger an der Decke des Ausstellungsraums balanciert und bis zum Boden durchhängt, diesen jedoch nicht berührt. Die Luftballons sind dicht mit Frischhaltefolie umwickelt, was dem Objekt eine hell schimmernde, irgendwie transparente und doch optisch nicht zu durchdringende Oberfläche verleiht. Während es auf diese Weise an ein gestaltloses organisches Gebilde erinnert, das die Möglichkeit zur Formveränderung impliziert, ist Fetcher doch eher zum Stillstand gekommene Bewegung und eine vollplastische Skulptur, die sich träge im Ausstellungsraum in der Schwebe hält.

Was durch Fetcher eigentlich angetrieben wird, ist das Reflexionsvermögen des Betrachters. Denn seine Form und Funktion sind nicht klar bestimmbar: weder die Repräsentation eines bekannten Objekts, noch die Vorführung der Materialwelt und deren formale Gestaltungsmöglichkeiten, weder nur Oberfläche noch ganz plastischer Körper. Diese Uneindeutigkeit wirft uns auf uns selbst zurück. In der betrachtenden Auseinandersetzung mit dem Objekt erkennen wir, was das Ästhetische an seiner Form ist. Es ist nicht das perfekte Handwerk und die überzeugende sinnliche Gestaltung des Objekts. Denn das, was uns im Alltag zum Kauf einer Ware bewegt, genügt der Ästhetik nicht, um ihr Qualitätsurteil zu fällen. Eher ist es eine über das Retinale, das schier Visuelle hinausgehende Eigenschaft der Arbeit, in der sich das Ästhetische begründet findet: die Tatsache, dass wir diese Form kognitiv hinsichtlich der möglichen Bedeutungen, die sich mit ihr verknüpfen lassen, in Bewegung versetzen können.
Wir sehen auch, dass dieses Objekt nicht auf sich selbst bezogen bleibt, sondern in der Konstellation mit den anderen Raumkörpern – der Architektur ebenso wie den anderen Arbeiten des Künstlers – Bedeutung generiert. Da ist zum Beispiel Bemme (2006), eine Art Monolith aus Styropor mit Haferflockenpatina sowie Schatten (2006) eine Wandarbeit aus gelben Haftnotizen und schließlich Sumpf (2006), eine quadratische Mulde im Boden des Ausstellungsraumes, in die Krebber ein Blasen werfendes Gemisch aus Kleister und leuchtendem Cadmiumorange gegossen hat. Ein Konglomerat aus Licht, Schatten und Farben, in dem die einzelnen Elemente des Raums aufeinander einwirken und kompositorisch aufeinander abgestimmt sind, so, wie in einem situativ errichteten Stilleben.



Dem Betrachter bietet sich die oben gennante Arbeit Bemme zunächst mit einer regelmäßigen, abgerundeten Form an, um an der der Wand zugewandten Seite plötzlich in eine senkrechte, weiße Fläche abzufallen. Auf diese Weise ermöglicht Bemme die Erfahrung der Ausdehnung und Begrenzung von Raum und ist gleichzeitig eine visuelle Metapher für Krebbers künstlerische Strategie. Diese besteht darin, dem Selbstverständnis seiner Arbeiten Grenzen zu setzen. Die Arbeiten vermeiden eindeutige Bestimmungen und Referenzen und verdeutlichen, dass es in Krebbers Kunst weniger um eine transzendente Bedeutung der Objekte geht, sondern um eine auf das Subjekt der Wahrnehmung ausgerichtete Erfahrung. Es geht um eine Vergegenwärtigung dieses Erfahrungsmoments, das an die sinnliche Wahrnehmung gekoppelt ist. Demnach halten wir uns an das, was wir sehen, riechen, be-greifen können. Bei Bemme ist das auch die poröse Oberfläche und der Geruch der Haferflocken. Letzterer erinnert anfänglich noch an den Duft von Haferbrei und wandelt sich im Laufe der Zeit und mit zunehmender Zersetzung des Getreideprodukts in Gestank, der uns in die Wirklichkeit des Ausstellungsraums zurückwirft.


Julia Höner
ist Kuratorin und arbeitet z.Zt an der European Kunsthalle in Köln

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