Gereon Krebber
Das ABC der Blorpkunst

Das ABC der Blorpkunst

von Rachel Withers

Verschiedene nützliche Ausdrücke, nach strengen mathematischen Prinzipien organisiert, zum Verständnis von Krebberigem

Luft
„Auch Luft kann dich verletzen” sang David Byrne. Krebber teil Byrnes schrägen Blick auf gewöhnliches Zeug, nicht jedoch seinen Verfolgungswahn. Krebbers Arbeiten lassen Luft kommen und gehen. Wenn die Mischung aus Luft und Haferflocken leicht stinkt (siehe Porridge) — kein Problem.

Blockage
Squeezed: Das Kunstwerk, das durch die Galerietür zu entkommen suchte! Unglückliches, fehlgeleitetes, überambitioniertes Ding. Schnell stecken geblieben, präsentiert sich sein leeres, glänzendes Gesicht den Passanten.
Die Ausstellung findet jetzt auf der Straße statt! Das verstößt mit Sicherheit gegen die Ordnungsvorschriften.

Haften
Sehr klingend, dieses Wort „cling“ (Siehe Lautmalereien). Krebbers glitzernde, eisige, das Licht spiegelnde Oberflächen (siehe Squeezed, Sheet) sind eigentlich vielschichtige Verpackungen aus Frischhaltefolie (Siehe Hund). Ins Auge fallen uns die Myriaden kleinster Falten
und Luftblasen (nicht Luftmangel oder Ersticken).

Hunde
Hunde-Vorsilben: Nützlich für Betrachtungen von Krebbers Vorgehen. Hunde-Ohren: siehe Sheet, Karton. Hunde-beine: Siehe Escape. Das Wörterbuch bestimmt: „Hunde-“ — Vorsilbe heißt unecht (Siehe „Hunde- latein“): Das rot glänzende Zeug
(siehe Fladen) ist kein John McCracken, es ist himbeerroter Wackelpudding.

Eleganz
Nieder mit der Eleganz — Feind der radikalen Kunst! Warum? Entweder entdecken Krebbers Arbeiten Eleganz in Uneleganz — dem Ausbauchen, dem Klumpigen, dem Lehnenden, dem Schiefen — oder Uneleganz in Eleganz. Bleibt schwierig zu
entscheiden. (Vielleicht ist „Eleganz“ nur ein Nebenprodukt von Klarheit.)

Gefroren
Glänzend, poliert, gläsern, kühl. Sheet ist eine gegensätzliche Mischung an Ideen — Tucheis trifft Bettuch — die Frost- beulen sind allerdings ausschließlich visuell (Siehe Trebuchet). Haut klebt an eisigen Oberflächen, jedoch die perlgraue Aluminiumhaube von Tin lässt bloß unseren Blick kleben, nicht unsere Finger.

Gasförmig
Siehe Escape: Eine Ausströmung aus Frischhaltefolie und Luftballons unter einer gelösten Bodenfliese heraus in die Hauptstelle der Sparkasse in Gelsen- kirchen, Deutschland. Sie stieg hoch, änderte dann ihren Plan und schwenkte sich um neunzig Grad. Studenten, bitte vergleichen: Escape und Manzoni: Fiato d’artista.

Ha Ha Ha
Ein lustiges Ding, Humor. „Schau! Hier ist die Welt, die so gefährlich scheint! Nichts als ein Kinderspiel - bloß gut für ein paar Witze.“ Freuds Theorie: Humor gleicht freundlicherweise aus, wenn das Über-Ich zurückkehrt. Daher — nichts zu lachen!

Information
„Die Information in einer Mitteilung steht in umgekehrter Proportion zu seiner Wahrscheinlichkeit oder Vorhersagbarkeit“ (Roman Jakobson).
„Information... die natürliche und notwendige Quelle des Unbekannten“. Krebbers Arbeiten sind informationsgeladene Vergnügen. („Schokoladenmousse? Oooh — zu mächtig für mich“.)

Wackelpudding
Eine Gelatine-Pfütze ist zur scharf- winkeligen Keilform geronnen. Fladen hat eine klar definierte, rechteckige Leerstelle in seiner Mitte. Wir wissen, diese Effekte sind vom Künstler gemacht. Dennoch sticheln die Arbeiten in irrationaler Sorge, das leblose Substanzen für sich selber denken.

Knicke
Nah verwandt mit Hundeohren und Hundebeinen, erlauben Krebbers Knicke freieren Luft-und Informationsfluss. Schwellungen aus Folienwickel verwandeln Stöcke von steif und reglementiert zu abartig und gebogen. Nach Verlassen seiner tragenden Rolle hat Pfeiler Freizeit und freut sich seines Knickes.

Leichte und Schrägheit
Giovanni Anselmos Granitgedenkstein mit frischem Salat; Giberto Zorio Säule (mit darunter gequetschtem Gummischlauch). Thompsons Ausstellungsstücke zu Gravity and Grace und Krebbers Arbeiten scheinen im Gespräch, nur sind letztere leichter: Entwaffnend, spielerisch, eigenständig schrumpfend. „Leiser gestellt“ schreibt Krebber.

Max Planck
Eine max. plank ist jede beliebige alte übergroße Planke, nur für den englischen Leser ist das überschüssige „c“ in Planck eine fesselnde Irritation, eine Falle fürs Auge. Krebbers „flache“ Arbeiten (Flügel oder Kiefer) sind definitiv Plancken. Siehe Trebuchet.

Normalität
Ecos Vorstellung vom „offenen Text“ (see Um) verbreitet inzwischen Annahmen zur zeitgenössischen Kunst – doch beruht die „Offen-” oder „Geschlossenheit“ eines Textes auf seinen innewohnenden Eigenschaften, oder seiner Platzierung? Test: Schlage die Ecken eines Kartons ein und betrachte das Ergebnis.

Lautmalerei
Wortgebilde, deren sprachlicher Klang den eigentlichen Klang des zu bezeich- nenden Geräusches oder Handlung nachahmt, z.B. zischen, summen, knallen ... (16 Jh. über Spätlatein vom Griechischen onoma, Name, und poiein,
machen). Krebbers Skulpturen verleihen auf lautmalerische Weise ihren alltäglichen Titeln einen Widerhall.

Haferbrei
Scheinbar liebt Krebber, dieses Zeug zu essen. Blorp ergoss sich selbsttätig aus einem Briefschlitz, geschlagen in die Wand einer Parteigeschäftsstelle. Der Schwanz baumelte hilflos auf
der anderen Seite, während in der Luft schwebende Mikroben sich an der Haferschleimschicht labten.

Wesen
1) Philosophie: Die eigentliche Natur von etwas. Vergleiche Haecceitas. 2) Eine kleine oder oberflächliche Unterscheidung; Spitzfindigkeit. O.K., nicht weiter herumrätseln — hier die Definition von haecceitas: Die Philosophie, die ein Objekt als einzigartig identifiziert.
(Aus mittelalterlichem Latein, haecceitas, wörtlich: Diesseitigkeit.) Vergleiche Wesen.

Zugtoilette
Ein Rätsel — Die Autorin hat die Arbeit nicht gesehen, aber Titel können nicht viel übler riechen. Einzureihen neben Duchamps Fountain, Beuys Fettstuhl und andere Dinge in der ruhmreichen Geschichte der Kunstobjekte über
„Ausscheidung“? Das führt uns zu —

Abwasser
Gerüchte berichten, das Krebber zur Zeit an einem Plan arbeitet, das Flussbett eines Abwasserkanals auszuleuchten. So können Spaziergänger dem Kot nachsinnen, der wie ein Karpfen vorbei- schwimmt. Vom Goldfisch zum Kotfisch: Freud hätte an dieser Verwandlung sicherlich seinen Gefallen gefunden.

Trebuchet
Garderobenleiste, die Marcel Duchamp am Boden festgenagelt hat und die sich visuell in unserem Hosenaufschlag verhakt. Mr Schnabel — zwei gestapelte Klümpchen und ein säuerlich gesenkter, asymmetrischer Schnabel — verspricht
uns visuell zu beißen, falls wir wagen, ihm Persönlichkeit zu unterstellen.

Um
Umberto Eco: „... um so weniger herkömmlich die Formen des _Ausdrucks sind, desto mehr Umfang für Interpretation erlauben sie und als desto doppelsinniger können sie bezeichnet werden; weil gewöhnliche Regeln des _Ausdrucks nicht länger zutreffen, verbreitert sich der Deutungsspielraum enorm.“

Schwindel
Krebbers Board ist eine Platte mit parallelen Seiten, horizontal in einem Winkel zur Ober- und Unterkante flach
„eingeknickt“. An die Wand gelehnt, ragen obere und untere Ecken im gleichen Abstand ab. Versuchen Sie das mit einer Karte. Siehe Schwankung.

Schwankung
Klappt nicht? Erklärung: Board wurde ein heimtückisches Zusatzstück eingebaut.
Eine vertikale Seite ist länger als die andere, ohne das dies sofort ins Auge fällt. Board steht herum und zeigt die unterschwellige, der Erfahrung widersprechende Schwankung denjenigen, die genau hinsehen.

Xyster
Chirurgisches Instrument, um Knochen zu schaben; chirurgische Raspel oder Feile (17 Jh., von Griechisch: xuein, kratzen). Krebberoberflächen: schön, strahlend, sklavisch wie verschwenderisch aufbereitet, verletzlich, improvisiert, Wegwerfverpackungen. Wie die Oberflächen zum Licht, so verhalten sich die Objekte zu ihrer physischen Dauer.

Dehnungsdruck
„Der Belastungsgrad, an dem Materialien aufhören, elastisch zu wirken. Der Druck geteilt durch die Verdehnung ist nicht weiter konstant.“ Ring sackt elastisch ein wie ein halbaufgepumpter Reifen, wirkt aber gleichermaßen starr. Druck und Dehnung sind hier also gut ausgeglichen.

Der Buchstabe Z fehlt
(Der Buchstabe Z ist nicht gelistet. Die Autorin hat beschlossen, den Text zu beenden und „seinen Schwanz schräg abzuschneiden“.)

Rachel Withers ist Kunstkritikerin und schreibt regelmäßig im Artforum Magazin. Sie lebt und arbeitet in London.

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